Heute sind in unserer reichen Volkswirtschaft mehr Menschen von Armut betroffen oder bedroht als je zuvor – und dies teilweise trotz Arbeit! Unter jungen Menschen gilt jeder fünfte als von Armut betroffen. Ebenfalls jeder Fünfte arbeitet zu einem Armutslohn und immer mehr alte Menschen erhalten Grundsicherung. Armut schließt aus und macht krank. Arme leben im Schnitt zehn Jahre weniger als andere.
Es gilt an Gustav Heinemann zu erinnern:
„Soziale Grundlegung ist für Demokratie unerlässlich …..
Soziale Sicherung gehört zur Grundausstattung aller Bürger …
als sichtbarer Beweis praktizierter Solidarität“ – und als Auftrag unseres Grundgesetzes.
Nach wie vor bleibt es deshalb unsere vorrangige Aufgabe, den Sozialstaat solidarisch für die Risiken des Lebens, d.h. Armut, Krankheit, Pflege, Arbeitslosigkeit und Alter, weiterzuentwickeln. Eine weitere Privatisierung und Individualisierung der Risikobewältigung steht dem entgegen. Ungleichheit und Ungerechtigkeit würden damit verschärft.
Ebenso darf die Sozialpolitik nicht dem Markt und seinen Egoismen ausgeliefert werden. Im Kern hat die gesetzliche Sozialversicherung zu stehen, die möglichst viele Menschen einbezieht. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik hat dazu beizutragen, den Anteil sozialversicherter Arbeitsplätze zu erhöhen und prekäre, d.h. schlecht oder nicht versicherte Arbeitsverhältnisse zu verringern. Damit bleibt auch die Umlagefinanzierung leistungsfähig. Am Ziel einer Bürgerversicherung ist festzuhalten. Staatliche – subsidiäre – Leistungen, z.B. durch die Grundsicherung, müssen den Menschen ein würdevolles Leben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Dies muss in Höhe und dem Verfahren der Inanspruchnahme beachtet werden.
Aus aktueller Sicht stehen in der nächsten Legislaturperiode an:
• Eine Reform der Krankenversicherung, die in selbstverwalteten Strukturen weitestgehend beitragsfinanziert sein sollte. Versicherungsfremde Leistungen werden aus öffentlichen Mitteln und damit von allen Steuerzahlern bezahlt. Eine paritätische Finanzierung des Beitrags wird wieder hergestellt. Betrügereien der Leistungsanbieter zu Lasten der Versichertengemeinschaft ist wirksamer zu begegnen. In der Gesundheitspolitik hat der Mensch, nicht die Gewinnerzielung im Mittelpunkt zu stehen. Eine gemeinwirtschaftliche Struktur bzw. Öffentliche Struktur ist dort wieder herzustellen, wo in der Vergangenheit aus Privatisierungswahn funktionierende Angebote zerschlagen wurden. Ambulante und stationäre Versorgung sind stärker zu verzahnen. Insbesondere ist die nachstationäre Versorgung zu verbessern. Es darf nicht sein, dass nach dem Ablauf der stationären Versorgung (Fallpauschalenablauf!) eine Entlassung einer Patientin/eines Patienten in die Hilflosigkeit stattfindet, weil das entsprechende Versorgungsmanagement nicht funktioniert. Menschen in der s.g. Fläche und/oder ländliche Regionen dürfen in der gesundheitlichen Versorgung nicht abgehängt werden. Auch für sie müssen gute ambulante und stationäre Angebote angemessen erreichbar sein, die Haus- und Facharztversorgung ist zu verbessern. Ebenso die Terminorganisation. Extreme Wartezeiten sind menschenunwürdig. Die Rechte der Kassenärztlichen Vereinigung sind ggf. einzuschränken.
• In der Pflegeversicherung ist die Wirksamkeit der bevorstehenden Verbesserungen baldmöglichst zu überprüfen. Auf alle Fälle ist die Sicherheit der im Pflegefond angelegten Beitragsgelder sicherzustellen.
• Eine Reform der Rentenversicherung. Die Rentenformel ist zu vereinfachen und von den für Normalmenschen undurchsichtigen Anpassungsformeln zu befreien. Rentenniveau und Rentenanpassungen haben auskömmlich zu sein. Flexible Übergänge sind beizubehalten und die Renteneintrittsalter zu senken. Die s.g. Riester-Rente ist auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen und ggf. zu ändern.
• Immer wichtiger wird die Bekämpfung der Altersarmut. Die Zahl der Empfänger/innen von Grundsicherung ist erheblich gestiegen. Wird dem nicht gegengesteuert, werden insbesondere Teilzeitbeschäftigte, Menschen mit Brüchen in der Erwerbsbiografie und Geringverdiener keine vernünftige Rente erhalten. Dies gilt insbesondere für Frauen und Migrant/innen. Selbst die OECD stellte fest, dass in der Mitte des Jahrhunderts die Zahl altersarmer Menschen in der Bundesrepublik über dem OECD Durchschnitt liegen wird. Und dies in einer der reichsten Volkswirtschaft der Welt.
• Ein stärkeres sozial orientiertes Engagement in der Wohnungspolitik. Kleinere und mittlere bezahlbare Wohnungen in dichter besiedelten Regionen sind mittlerweile Mangelware. Immer mehr Wohnungen fallen aus der Sozialbindung heraus. Die „Mietpreisbremse“ ist sinnvoll, reicht aber nicht aus. Ihre Schlupflöcher sind zu schließen. Notwendig ist der Bau entsprechender Wohnungen. Und dies nicht nur in Randlagen. Staatliche Investitionen sind dazu auszuweiten, gemeinwirtschaftliche Investoren direkt und indirekt zu begünstigen.
In der Öffentlichkeit und der parlamentarischen politischen Arbeit ist zudem an der Akzeptanz und Verteidigung unseres im Kern bewährten Sozialsystems zu arbeiten. Die oberflächlichen Drohkulissen, die mit dem demografischen Wandel und einer „Vergreisung“ der Gesellschaft aufgebaut werden, müssen als Ideologie im Verteilungskonflikt zwischen oben und unten entlarvt werden. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit unseres Sozialsystems bleiben die Produktivität einer Volkswirtschaft und die Strukturen der Verteilung ihrer Ergebnisse. Die Steuerpolitik bleibt dabei wichtiges Korrekturinstrument. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds liegen die Steueranstrengungen, d.h. der Anteil der tatsächlichen an den möglichen Steuereinnahmen, bei den Industriestaaten im Schnitt bei 70 %. Die Bundesrepublik liegt mit 57 % weit darunter!
Ebenso gilt es die Zugriffe abzuwehren, die unter dem Mantel einer vermeintlichen Wettbewerbsförderung und Verbesserung der Handelsbeziehungen drohen (CETA/ TTIP!). Profiteure in Privatversicherungen und internationalen Hedgefonds lauern nur darauf, die Strukturen der bundesdeutschen Sozialversicherung aufzuweichen, zu privatisieren und als „Markt“ in die Hand zu bekommen. Mit einem klaren sozialen Profil – und entsprechender Praxis – sind auch wieder Wahlen zu gewinnen!
Beschluss: Überweisung an Programmkommission
Beschlossen am: 23.10.2015