Abschaltung des Steinkohlekraftwerks Heyden 4 ist eine gute Nachricht – unter einer Bedingung

Als sich gestern die Nachricht von der Abschaltung des Steinkohlekraftwerks „Heyden 4“ in Lahde verbreitete, hat dies zu vielen Reaktionen im Netz geführt. Diese waren, wie ich leider feststellen musste, oft sehr emotional und eher aus dem Bauch heraus.

So wurde beispielsweise die These vertreten, dass wir nicht plötzlich weniger Strom verbrauchen würden und dieser „irgendwo herkommen“ müsse und da seien nun „in erster Linie die Kohlekraftwerke in Polen und die Atomkraftwerke in Frankreich gefragt“. Oder es wurde ironisch nachgefragt, ob man bei „Flaute“ den Strom selbst auf dem Heimtrainer produzieren solle.

Doch wir sollten bei den Fakten bleiben. Für all diejenigen, die in Panik bezüglich der Stromversorgung verfallen, habe ich einmal die grundlegenden Informationen zusammengetragen. Fakt ist, dass die Bundesrepublik im Jahr 2019 einer der größten europäischen Netto- Stromexporteure mit insgesamt 35,2 Terawattstunden (TWh) war. Diese Zahl setzt sich aus exportierten 59,4 TWh und importierten 24,2 TWh zusammen. Zudem gab es im Jahr 2019 genau zwei Monate, in denen mehr Strom importiert als exportiert wurde. Dies waren die Monate Juni und August. Dies zeigt zum einen, dass genügend Strom in der Bundesrepublik produziert wird, zum anderen wirft es die Frage auf, wie diese Flauten aufgefangen werden können.

Das Kraftwerk „Heyden 4“ in Lahde ist aufgrund der Tatsache, dass es bei hohen Außentemperaturen seine Leistung stark verringern muss, da durch das eingeleitete Kühlwasser die Weser-Temperatur sonst zu stark ansteigt, nicht dazu geeignet, die saisonalen „Flauten“ vollumfänglich auf zu fangen (Mindener Tageblatt berichtete am 28.07.2018). Um die Auswirkung der Abschaltung zu bewerten ist es zudem sinnvoll die Nettoleistung des Kraftwerks „Heyden 4“ zu betrachten. Diese liegt nach Angaben der Betreiberfirma „uniper“ bei 875 Megawattstunden (MWh) also 0,000875 TWh. Für die Betrachtung der Energieversorgung der Bundesrepublik heißt das, dass sich der Netto-Stromexport um sage und schreibe 0,000249% durch die Abschaltung von „Heyden 4“ verringert.

Durch den technologischen Fortschritt ist es mittlerweile möglich, dass die saisonalen Schwankungen im Energienetz nicht mehr durch Importe, sondern durch Speichertechnologien ausgeglichen werden. Eine Unterscheidung erfolgt in Kurzzeitspeicher und Langzeitspeicher. Es gibt mittlerweile ein breites Portfolio an Technologien: Batteriespeicher, Pumpspeicher, Druckluftspeicher, Power-to- Gas (Wasserstoff und Methan). Das verdeutlicht, dass es sowohl möglich ist, die Stromproduktion durch fossile Brennstoffe und AKWs zu reduzieren, als auch sich gleichzeitig von Stromimporten aus dem Ausland unabhängig zu machen.

Insgesamt gibt es zudem die Erkenntnis, dass eine Dezentralisierung der Stromproduktion sinnvoll ist, da dies das Stromnetz weniger angreifbar macht und es nicht zu so starken Schwankungen kommen kann. Wer sich dem Thema auf unterhaltsame Weise nähern möchte, dem empfehle ich den Technik- Thiller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg.

Viel wichtiger ist nun die Frage, was die kurzfristigere Abschaltung für die Arbeitnehmer:innen vor Ort heißt. Bei einer Abschaltung im Jahre 2025 wären 78 Arbeitnehmer:innen betroffen gewesen (Mindener Tageblatt vom 31.01.2020). Sind nun noch mehr Arbeitnehmer:innen betroffen, die in den nächsten vier Jahren in Rente gehen? Schützt der Tarifvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen ausschießt, die Arbeitnehmer:innen auch davor, dass sie aus ihrem Lebensmittelpunkt gerissenwerden, weil „uniper“ sie nur an einem anderen Standort weiter beschäftigt? Werden Arbeitnehmer:innen, die jetzt in Frührente geschickt werden gerecht entschädigt. Wichtig ist es jetzt, die betroffenen Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen und sich mit ihnen hinsichtlich ihrer Perspektiven zu solidarisieren.

Eine mögliche Perspektive, für deren Umsetzung es sich lohnt zu kämpfen, ist eine sinnvolle Weiternutzung des Kraftwerkes. Kurz skizziert könnte diese so aussehen, dass statt einer Dampferzeugung durch Kohleverbrennung die Dampferzeugung mit leistungsstakten Wasserstoffsauerstoff-Brennern (H2O2-Brennern) erfolgt. Diese H2O2-Brenner sind keine wahnsinnig neue Idee, sie wurden bereits Ende der 1980er Jahre entwickelt und verbrennen Wasserstoff und Sauerstoff rückstandslos zu Wasser.

Somit könnte in diesem Zukunftsmodell in Lahde im Bedarfsfall Strom bereitgestellt werden, in dem Wasserstoff, der mit überschüssiger Energie der Offshore-Windparks in der Nordsee produziert wurde, vor Ort in Strom umgewandelt wird. Der Nutzungsgrad derartiger Anlagen wird mit 85% angegeben und liegt damit deutlich über dem der Steinkohlekraftwerke. Zwar löst dieser Ansatz nicht die Kühlwasserproblematik im Bezug auf die Weser-Temperatur, jedoch wird statt Kohlenstoffdioxid, Stickoxiden, Schwefeloxiden, Feinstaub, anorganischen Fluorverbindungen, Ammoniak und Quecksilber, dann nur noch Wasser an die Umwelt abgegeben. Ein solches Projekt würde die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer:innen ermöglichen und zusätzlich den Kreis Minden-Lübbeke als Technologie-Standort stärken.

Zukunft sichert man nicht, in dem an einem Steinkohlekraftwerk in Lahde festgehalten wird. Oder halten Sie auch noch Pferde in Ihrem Garten, um mit der Kutsche fahren zu können, falls Ihr Auto mal nicht anspringt?

Zum Autor: Moritz Traue ist SPD/Juso-Mitglied aus Petershagen