„Europa muss seine Zukunft selbst gestalten“

Die Welt ist im Corona-Krisenmodus. Die Unsicherheiten sind groß – in Deutschland, Europa und weltweit. In dieser Gemengelage stehen die USA in wenigen Tagen vor einer wegweisenden Wahl: Wird Donald Trump oder Joe Biden das Land als Präsident in den nächsten vier Jahren anführen? Es ist eine Entscheidung, die auch für uns in Deutschland und Europa wichtig ist, weil sie die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft berührt.

Gleichwohl ist meine Überzeugung: Wir dürfen nicht mit falschen Hoffnungen und Erwartungen auf die Wahl in den USA schauen. Die Zeiten, in denen sich Europa im Windschatten der USA in der Weltpolitik einrichten konnte, sind vorbei – unabhängig davon, wie die Wahl in den USA ausgeht.

Die Partnerschaft mit den USA hat in den letzten Jahren unter Präsident Trump erheblich gelitten. In vielen Bereichen – von den Auseinandersetzungen in der Handelspolitik, über die Aufkündigung wichtiger internationaler Abkommen für Klimaschutz und Abrüstung bis hin zur gezielten Schwächung der Vereinten Nationen oder auch der Weltgesundheitsorganisation – trifft Trumps einseitige, oft aggressive Politik auch uns. Gewinnt Joe Biden die Wahl, böte dies ohne Zweifel neue Chancen, Kooperation und internationale Abkommen wieder gemeinsam zu beleben. Zugleich ist aber davon auszugehen: Auch ein Präsident Biden wird die schon unter Präsident Obama eingeleitete stärkere Ausrichtung US-amerikanischer Politik in Richtung Pazifik fortführen.

Für Europa kann dies nur bedeuten: So wichtig es ist, die Partnerschaft mit den USA trotz aller Schwierigkeiten zu erhalten und möglichst neu zu beleben, so unerlässlich ist es zugleich, dass Europa sein Schicksal stärker als bisher selbst in die Hand nimmt – mit Mut, Realismus und Zusammenhalt. Nicht gegen andere gerichtet, sondern mittels Partnerschaft und Kooperation. Das muss unser europäischer Weg sein.

Dabei können wir durchaus optimistisch sein. Die Europäische Union ist alles in allem gut aufgestellt: Der Binnenmarkt ist eine große Erfolgsgeschichte, getragen gerade auch von vielen mittelständischen Unternehmen und ihren Beschäftigten. Das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell mit sozialer Marktwirtschaft, starken Tarifpartnern und einem handlungsfähigen Sozialstaat zeigt alles in allem seine Leistungsfähigkeit in der Krise. Und auch der Euro hat in der Krise Sta- bilität bewiesen, nicht zuletzt dank des Handelns von Finanzminister Olaf Scholz und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire. Auf ihre Initiative hin hat sich Europa auf das größte Wiederaufbauprogramm seit dem Marshallplan geeinigt. Das ist ein historischer Fortschritt, der nun schnell umgesetzt werden muss.

Es wird aber noch mehr mutiges Handeln erforderlich sein. Aufbauend auf dem Wiederaufbauprogramm sollten wir Europas gemeinsame Investi- tionskraft dauerhaft stärken, am besten koordiniert von einem echten europäischen Wirtschafts- und Finanzminister. Und wir müssen Europa endlich in den Bereichen zukunftsfähig machen, in denen es ins Hintertreffen zu geraten droht:

Zukunftstechnologien wie die Künstliche Intelligenz oder auch die neuste Generation von Computerchips werden zu selten in Europa entwickelt. Noch können wir aufholen – wenn wir gemeinsam in die Technologien von morgen investieren und zugleich auch unsere Unternehmen, ihre Beschäftigten und unser Wirtschafts- und Sozialmodell noch besser gegenüber unfairem außereuropäischem Wettbewerb schützen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen in Europa von staatlich unter- stützten außereuropäischen Konkurrenten aufgekauft oder durch Dumpingpraktiken aus dem Markt getrieben werden. Der Binnenmarkt braucht einen wirksamen Außen- schutz.

Und noch etwas ist wichtig: Neben Handlungsfähigkeit und Zusammenhalt im Innern muss Europa seine gemeinsame Handlungskraft nach außen deutlich weiter ausbauen. Dafür sind endlich mehr Mehrheitsentscheidungen auch in der Außenpolitik notwendig, um bisherige Blockaden zu überwinden. Mit seiner gemeinsamen Außen-, – Handels- und Entwicklungspolitik kann und muss Europa auf mehr internationale Kooperation, auf mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Handel und auf eine Renaissance der globalen Friedens- und Abrüstungspolitik hinwirken. Wer, wenn nicht Europa, wäre dazu in der Lage.

Zusammengefasst: Europas Zukunft darf nicht davon abhängen, welche Entscheidungen in Washington, Moskau oder Peking getroffen werden. Die Weichen für eine gute Zukunft Europas können und müssen wir selbst stellen. Indem wir Europas Handlungs- fähigkeit und Souveränität stärken – gerade jetzt in der Krise.

Gastbeitrag von Achim für die NW (Ausgabe vom 29.10.2020) anlässlich der US-Präsidentschaftswahl im November

Zum Autor: Achim Post ist SPD-Bundestagsabgeordneter für den Kreis Minden-Lübbecke, stellv. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und ehrenamtlicher Generalsekretär der SPE.