„Beim Kinderschutz ist das Zusammenwirken von Staat, Vereinen und jedem Einzelnen elementar.“
Wenn wir über Kinderschutz sprechen, sprechen wir insbesondere über das Netzwerk sozialer und gesundheitlicher Organisationen, allen beteiligten staatlichen Behörden, Eltern und ihren Kindern. Auf meiner Sommertour wurde mir deutlich, dass das Zusammenwirken von Staat, Vereinen und jedem Einzelnen von uns dabei elementar ist. Meines Erachtens verlassen wir uns dennoch zu sehr auf die unermüdliche Arbeit der Ehrenamtlichen und dem Personal in den kleinen sozialen Vereinen, die immer wieder um Fördergelder und finanzielle Absicherung kämpfen.
Insbesondere von unseren staatlichen Institutionen erwarte ich, dass sie ihrer Schutzfunktion gegenüber den Verletzlichsten unserer Gesellschaft nachkommen, effektive Kontrollmechanismen implementieren und sichere Räume für unsere Kinder schaffen. Die aufmerksame Dorfgemeinschaft braucht eine vertrauensvolle Beziehung zu den staatlichen Instanzen, die ihre Schutzfunktion gegenüber Kindern ausüben: Das Wohl unserer Kinder muss ihre maßgebliche Richtschnur sein. Viele Expert*innen haben dies in ihren Stellungnahmen in Anhörungen für die Kinderschutzkommission im Landtag NRW betont. Mitarbeiter*innen im Jugendamt und Familienrichter*innen sind die Schnittstelle, die im akuten Fall Entscheidungen trifft, Maßnahmen bestimmt, und den Heilungs- und Entwicklungsprozess, sowie Zukunftsperspektiven des Kindes vorantreibt. In der Anhörung wurde beispielsweise beklagt, dass sich Mitarbeiter*innen der Jugendämter selten gegen eine Entscheidung des Familiengerichts stellen und Beschwerde einreichen, obwohl sie eine divergierende Einschätzung hatten. Mir ist dennoch bewusst, dass viele Mitarbeiter*innen beider Institutionen ihr Bestes tun, aber die Ressourcenfrage die Drängende ist.
Das Fehlen einheitlicher und ausreichender Qualitätsstandards hinsichtlich der Arbeit unserer Jugendämter in NRW wird jedoch als die Quelle vieler Folgeprobleme benannt. Fort- und Weiterbildungen zum Thema unzureichende kindliche Bindung, Vernachlässigung, Misshandlung und sexualisierter Gewalt sind in ganz unterschiedlicher Prägung vorhanden. Diese Problematik wurde von den Expert*innen in der Anhörung auch für die Richter*innen an den Familiengerichten genannt. Auch hier sei das Problembewusstsein zu sehr von Alltagserkenntnissen abhängig. Oft könnten sich Familienrichter*innen nicht vorstellen, dass Eltern vor ihnen stehen, die ihr Kind vernachlässigen oder misshandeln. Diese wohl oft von Bauchgefühlen geleitete Entscheidungsfindung kann letztlich zu fatalen Fehlentscheidung führen. Der Ruf nach wissenschaftlich und qualitativ unterlegten Standards hat mich auf meinem Weg auf allen Ebenen unentwegt begleitet.
Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten zu verstehen, die ihre Beteiligung und Mitsprache in der Gesellschaft einfordern, entspricht längst noch nicht der öffentlichen Meinung. Wir begreifen Kinder beinahe ausschließlich in Verbindung mit ihren Eltern. Im deutschen Grundgesetz tauchen Kinder nicht als Rechtssubjekte, sondern lediglich als Regelungsgegenstand (Objekt der Eltern) auf. In Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz heißt es: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Aus diesem Grund ist das familiäre Umfeld in den Augen Vieler immer noch der einzige legitime Schutzraum des Kindes. Ein Kind zieht aus einem liebevollen und unterstützenden Elternhaus die emotionale Stärke für ein selbstbewusstes Leben. Die Familie stellt in der Regel erfolgreich die Weichen für eine gute Entwicklung ihrer Kinder! Dennoch sind die Familien von heute oft kleine – und durch ihre Lebenssituation häufig überforderte – Gemeinschaften, die wir stärken müssen, wo immer das möglich ist. Vor allem müssen wir anerkennen, dass die abgeriegelte Privatsphäre dieser kleinen Verbünde oft auch mehr Schutz für die Täter*innen als für die Kinder bedeuten kann. In meinen Augen müssen wir uns als Dorfgemeinschaft bemühen, Kindererziehung nicht mehr als reine Privatsache zu begreifen. Nur dann können wir undurchlässige Tabuzonen endgültig durchbrechen und für die Familien und Kinder Räume schaffen, in denen „Hilfesuchen“ akzeptiert ist und Heilung beginnen kann. Also: weg von der Isolation hin zur Vernetzung aller!
Deshalb ist es auch dringend an der Zeit, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern und damit den Bedürfnissen der Kinder und ihren besonderen Rechten endlich mehr Aufmerksamkeit und Nachdruck zu verschaffen – ganz besonders in der gegenwärtigen Krise.
Zur Autorin: Christina Weng ist MdL für den Wahlkreis Minden-Lübbecke und stellv. Mitglied der Kinderschutzkommission NRW