Offener Brief an die Mitglieder der CDU in Minden-Lübbecke
Liebe Freundinnen und Freunde aus der CDU,
lieber Oliver Vogt als Kreisvorsitzender,
der 29. und 31. Januar mit den Ereignissen im Bundestag sind ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Bundesrepublik. Und auch ein tiefer Einschnitt in das Verhältnis zwischen SPD und CDU als die beiden großen Volksparteien, die in Bund, Land und auch bei uns vor Ort im Mühlenkreis und seinen Kommunen ganz besonders gemeinsam Verantwortung für ein demokratisches Miteinander übernehmen.
Am 8. Februar findet in Minden eine große, schon seit Monaten geplante Kundgebung für die Demokratie statt. Derzeit fällt mir die Vorstellung schwer, dass wir dort Seite an Seite stehen.
Seit fast 20 Jahren bin ich an der Organisation breiter gesellschaftlicher Bündnisse für die Demokratie und gegen ihre Feinde beteiligt. 2006 standen wir gemeinsam gegen die Neonazi-Demonstrationen auf der Straße, 2011 nach der Aufdeckung der NSU-Morde, 2016 gegen die Gewalt an Geflüchteten, 2020 nach dem Anschlag von Hanau und der Aufdeckung einer rechten Terrorgruppe in Minden und Porta Westfalica, 2022 gegen die gesellschaftliche Spaltung durch die Coronaleugner und 2024 gegen die Pläne der AfD zur „Remigration“.
Ich habe mich im Vorfeld aller Veranstaltungen, an deren Planung ich beteiligt war, für breite gesellschaftliche Bündnisse eingesetzt. Mir war es immer wichtig, dass diese Kundgebungen nicht zu einer einseitigen parteipolitischen Aktion werden, sondern dass wir als demokratische Parteien gemeinsam für unsere Demokratie einstehen.
Bei der Kundgebung am kommenden Samstag habe ich das erste Mal in all den Jahren massive Bauchschmerzen, an eurer Seite zu stehen.
Dass die CDU unter Friedrich Merz nicht durch einen Unfall, sondern mit vollem Plan zweimal versucht hat, Beschlüsse im Bundestag gemeinsam mit einer faschistischen Partei herbeizuführen – einmal erfolgreich und einmal am Widerstand aus den eigenen Reihen gescheitert – ist ein Tabubruch des demokratischen Umgangs miteinander.
An den Ereignissen der vergangenen Woche sind gleich drei Punkte erschreckend:
1. Die Instrumentalisierung von grausamen Morden wie dem Fall in Aschaffenburg für den Wahlkampf ist unanständig und gehört sich nicht. Keine der von Friedrich Merz als alternativlos hingestellten Maßnahmen hätte diese Tat verhindern können.
Wir haben ein Gewaltproblem in unserer Gesellschaft. Dieses Gewaltproblem hat nicht ausschließlich, aber unter anderem mit einem Durchsetzungsproblem des Staates zu tun. Behörden, die es nicht schaffen, geltendes Recht durchzusetzen. Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte. Parallelgesellschaften, die nach eigenen Gesetzen leben, wie wir es bei der sogenannten Clan-Kriminalität erleben. All das sind Symptome der mangelhaften Durchsetzungsfähigkeit des Staates.
Und an der Stelle, liebe Freundinnen und Freunde aus der CDU, sitzen wir im selben Boot. Weder SPD- noch CDU-geführte Regierungen und Innenministerien erreichen hier Fortschritte. Im Gegenteil: In den Jahren unserer gemeinsamen Regierungszeit im Bund sind die Probleme nur noch größer als kleiner geworden. Es muss unsere gemeinsame Verantwortung sein, diese Probleme zu lösen.
Stattdessen versucht eure Kampagne unter Friedrich Merz gerade, ein Ende der Migration als einfache Lösung für alle Problem im Land zu verkaufen. Damit verkauft ihr nicht nur die Menschen für dumm, ihr schürt auch einen Pauschalverdacht gegen alle Migrantinnen und Migranten. Dabei wäre es gerade in dieser Zeit wichtig, dass wir gemeinsam für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen Spaltung eintreten.
2. Eure Bundestagsfraktion dagegen hat sich dafür entschieden, statt gemeinsam mit den Kräften der gesellschaftlichen Mitte nach Lösungen zu suchen, an der Seite der rechtsradikalen AfD zu stehen. Es war zu jedem Zeitpunkt klar, dass die beantragten Maßnahmen nur symbolischen Charakter haben – selbst der Gesetzesentwurf wäre ja gar nicht durch den Bundesrat gekommen. Die Entscheidung lautete als eindeutig ein Symbol zu setzen: Die CDU ist bereit, auch mit Faschisten zusammenzuarbeiten.
Dieses Symbol hat nichts mehr zu tun mit der CDU, die ich bei uns in Minden- Lübbecke kennengelernt habe. Nichts mehr mit der CDU, mit der ich gemeinsam an Kundgebungen gegen rechte Gewalt und Hetze teilgenommen habe.
3. Und besonders entsetzt bin ich dann über die fehlende Einsicht. Nach der Abstimmung vom Mittwoch gab es zahlreiche Reaktionen: Die Erklärung von Angela Merkel, der Parteiaustritt von Michel Friedman, die Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes von Albrecht Weinberg. Aber wie der Freitag gezeigt hat: Von Einsehen gibt es keine Spur.
Liebe Freundinnen und Freunde, lieber Oliver Vogt: Wer Geschichte schreiben will, sollte zuerst die Geschichte lesen. Das Paktieren von Konservativen mit den Faschisten ist nicht ohne historisches Vorbild. Aber die Konservativen haben aus ihren Fehlern gelernt. Gerade in diesen Zeiten sollten wir uns an das erinnern, was in den Zeiten der jungen Bundesrepublik Konsens zwischen Sozialdemokraten, Konservativen und auch Liberalen war: Unsere Demokratie muss wehrhaft sein. Wir dürfen und sollen sogar um die besten Wege und Antworten streiten. Aber wir müssen auch gemeinsam und geschlossen gegen die Feinde der Demokratie stehen.
Das Angebot von unserer Seite, das gemeinsam zu tun, steht nach wie vor. Unsere Tür für Gespräche ist immer offen. Aber ihr müsst euch von dem, was in der vergangenen Woche in Berlin passiert ist, deutlich distanzieren. Ansonsten sehe ich nicht, wie ihr gleichzeitig nächste Woche an einer Kundgebung für die Demokratie teilnehmen könnt. Und auch unser Verhältnis für die weitere Zusammenarbeit in den kommunalen Parlamenten kann so nicht unbeschadet bleiben.
Mit demokratischen Grüßen
Micha Heitkamp
Kreisvorsitzender der SPD Minden-Lübbecke