Aus Jahrhundertaufgabe eine Jahrhundertchance machen

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) war heute zu Gast in der Sitzung der SPD-Fraktion im Landtag NRW. Eine sozial gerechte Energiewende und die Transformation unserer Wirtschaft standen dabei im Mittelpunkt des Austauschs. Hierzu erklären Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionsvorsitzender, und Michael Vassiliadis:

Thomas Kutschaty:

„Nordrhein-Westfalen ist bedeutendes Industrieland und soll es bleiben. Die SPD-Fraktion steht voll hinter der heimischen Industrie. Wir wollen sie beim notwendigen Umbau zu klimaneutraler Produktion und zirkulärer Wertschöpfung mit ganzer Kraft unterstützen. Aus der Jahrhundertaufgabe, den Umbruch in Arbeit, Gesellschaft und Wirtschaft für die Vielen erfolgreich zu gestalten, wollen wir eine Jahrhundertchance machen.

Um die zahlreichen Herausforderungen zu meistern, braucht es neue Ideen, Innovationen, Mut und Tatkraft.

Wir haben für NRW deshalb einen Transformationsfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro vorgeschlagen. Über Anleihen soll der Fonds Geld auf den Kapitalmärkten sammeln und dieses anhand von Transformationskriterien an Unternehmen vergeben. So sollen sie in die Lage versetzt werden, ihre Produktionsprozesse mit mittelfristigem Eigenkapital klimaneutral umstellen zu können. Wir freuen uns sehr, dass diese Idee heute auch große Zustimmung bei Michael Vassiliadis und der IG BCE gefunden hat.

Wir teilen die Position der IG BCE, dass mit Blick auf die hohen Energiepreise ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien Priorität haben muss. Es braucht einen neuen Schub für Windkraft und Photovoltaik. Hier stand die Landesregierung bisher stark auf der Bremse und hat so den Ausbau der Erneuerbaren in unserem Land verhindert.

Wir fordern deshalb eine sofortige Abschaffung der unsinnigen Abstandsregel für Windkraftanlagen, machen uns stark für ein landesweites Ausrollen des Innovation-City-Projekts in Bottrop und setzen auf eine Photovoltaik-Verpflichtung für Neubauten für Gewerbeimmobilien, so wie der Bund sie nun forciert. Zudem ist die sichere Strom- und Wärmeversorgung für die energieintensive Industrie in NRW zu gewährleisten. Die Preise dafür müssen bezahlbar bleiben. Deshalb machen uns ebenfalls dafür stark, die geplante Abschaffung der EEG-Umlage vorzuziehen.

Die Transformation hin zur klimaneutralen Wirtschaft bedeutet für einige Regionen in NRW besondere Herausforderungen.  Wir stehen dabei natürlich  an der Seite der Menschen im Rheinischen Revier. Auch im Ruhrgebiet, dem Bergischen Städtedreieck und Südwestfalen wird es große Veränderungen vor allem in der Industrie geben. Hier braucht es entsprechende Unterstützung, etwa durch mehr Personal für beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren und ausreichend ausgestattete Förderprogramme, die Arbeitsplätze für Fachkräfte in Mittelstand und Industrie ermöglichen.

Ein aktiv gestalteter Strukturwandel und ein beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien sind die zentralen Voraussetzungen für einen vorzeitigen Kohleausstieg 2030.

Klimaschutz ist Innovations- und Jobmotor, wenn man ihn gemeinsam angeht. Der Kohleausstieg ist kein Ende, sondern der Start für neue Möglichkeiten. Industrie und industrienahe Dienstleistungen sind keine Hindernisse auf dem Weg einer klimaneutralen Wirtschaft. Im Gegenteil: Sie sind der wichtigste Teil der Lösung und müssen deshalb bei der Bewältigung der Transformation unterstützt werden.“

Michael Vassiliadis:

„Nordrhein-Westfalen bringt alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation mit: Kein Bundesland verfügt über eine so dichte Ansammlung großer Energieerzeuger und -verbraucher. Die Unternehmen und ihre Beschäftigten haben sich längst auf den Weg gemacht und arbeiten mit Hochdruck am betrieblichen Strukturwandel – seien es die Energieversorger, die chemische oder die Stahlindustrie. Was sie jetzt brauchen, ist eine öffentliche Hand, die sich als Möglichmacherin versteht und nicht als Bedenkenträgerin. Das gilt für Bund, Land und Gemeinden gleichermaßen.

Eine gut gemachte Transformation könnte das größte Modernisierungs- und Standortsicherungsprogramm der deutschen Industrie seit Jahrzehnten werden. Diese Frage entscheidet sich aber in dieser Dekade. Unsere ganze Aufmerksamkeit muss sich darauf richten, dass das Neue nicht irgendwo entsteht. Es muss hier entstehen – in Europa, in Deutschland, in NRW. Dafür brauchen wir eine Investitions- und Technologieoffensive in ungekanntem Ausmaß. Und weil sich nicht jede klimagerechte Investition sofort betriebswirtschaftlich rechnet, braucht es einen Anschub mit öffentlichen Mitteln.

Es ist richtig, wichtig und überfällig, dass die Politik jetzt auf allen Ebenen die Energiewende beschleunigen will. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien muss allerdings auch ein radikaler Ausbau der Gaskraftwerke einhergehen. Nötig ist nicht weniger als die Verdopplung der heutigen Kapazitäten bis 2030. Das ist der größte Zubau thermischer Leistung der Geschichte. Denn durch die klimagerechte Transformation von Industrie-, Energie-, Verkehrs- und Gebäudesektor steigt stark steigender Bedarf an sicherem, also jederzeit verfügbarem Strom, einher. Und das bei gleichzeitigem Auslauf von Kernenergie und Kohleverstromung. Das heißt auch: Ohne einen radikalen Ausbau der Gasverstromung wird es auch kein Vorziehen des Kohleausstiegs geben können.

Hier liegt eine große Chance für NRW: Lasst uns Gaskraftwerke, die langfristig dann auch Wasserstoff verbrennen, dorthin bringen, wo heute Kohle verfeuert wird. Die Leitungen sind schon vorhanden – und vor allem auch das Energie-Know-how der Beschäftigten. Das wäre dann auch die sozial verantwortungsvolle Transformation der Kohlereviere, wie wir sie uns vorstellen.

In der Richtung passiert noch viel zu wenig. Die Politik hat Milliarden zur Verfügung, um eine neue Erfolgsstory für die Reviere zu schreiben. Doch bislang scheint sie noch vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen. Den Strukturwandel darf man nicht sich selbst überlassen.“